Von Manfred Mohr
Liebe! Ist es nicht genau das, wonach wir alle suchen? Und dreht sich darum nicht alles, unser ganzes Leben und Bestreben, in vieler Hinsicht um genau dieses eine so gänzlich besondere Wort?
Die große Bedeutung von Liebe für jeden einzelnen von uns scheint doch einmal einer näheren Betrachtung wert. Ich möchte dich darum zu einer gemeinsamen Reise einladen, der Liebe einmal genauer nachzuspüren. Zu diesem großen Thema hat so ziemlich jeder Dichter und Denker uns seine Sichtweise hinterlassen. Wie könnte es auch anders sein? Hier ein kleiner Vorgeschmack dazu:
Früchte wachsen durch die Sonne. Menschen wachsen durch die Liebe. (Martin Buber)
Beginnen möchte ich allerdings bei dir selbst. Bitte gehe in dein Herz und frage dich eingangs dieser Reise: Was ist Liebe eigentlich für dich? Nimm dir etwas Zeit. Welches andere Wort umfasst für dich die Bedeutung von Liebe am besten? Schreib es dir auf!
Die Antwort auf diese Frage ist für jeden etwas knifflig, sei beruhigt. Und werden gleich viele Menschen derart befragt, so kommt eine ganz ansehnliche Anzahl von unterschiedlichsten Begriffen zusammen. Denn jeder von uns definiert Liebe für sich speziell. Genannt werden dabei:
Vertrauen, Geborgenheit, Freude, Friede, Einklang, Erfülltheit, Loslassen, Weite, Größe, Mitgefühl, Einssein, sich vergessen, Gemeinschaft, Vergeben, Annahme, Vertrauen, Zuversicht, Verzeihen, Danken, Beschenken, Umsorgen, geben ohne etwas zurück zu erwarten, Extase, Bereitschaft, Teilen, Wachstum, nach vorn gehen, im hier und jetzt sein, Glück, Ja zum Leben sagen, und noch viele mehr.
Jedem bedeutet Liebe natürlich unendlich viel, aber auf seine ureigenste Weise. Und verraten sei hier außerdem, jeder Mensch trägt eine ganz besondere Art von Liebe in seinem Herzen. Es ist diese Liebe, die wir wie eingangs erwähnt im außen so sehr suchen und ersehnen, wir finden sich schließlich paradoxerweise in uns selbst.
Bei näherer Betrachtung bekommt die nur scheinbar so eindimensionale Liebe plötzlich eine Vielzahl von Bedeutungen. Sie explodiert geradezu. Wenn wir von Liebe reden, meinen wir damit zwar zumeist die Liebe zu einem Menschen, zum Partner, zur Familie oder zu unseren Kindern. Es gibt aber noch sehr viele Ableger davon: etwa die Heimatliebe, die Liebe zur Natur, die Liebe zu unserem Beruf oder unserem Hobby, oder auch die Liebe zu Gott. Ganz wichtig ist aber vor allem die Selbstliebe. Die größte Kunst bleibt es nämlich, uns selbst lieben zu lernen. Meister Ekkehard sagt darum so treffend:
Alle Liebe dieser Welt ist auf Selbstliebe begründet.
Liebe beginnt bei mir selbst, und auf wundersame Weise endet sie dann hier auch wieder. Wenn es mir gelingt, mich selbst zu lieben, werde ich wie ein übervoller Brunnen, ein Quell des Lebens, der über seinen Rand hinaus fließt und der so außerdem die umliegende Erde gleich mit bewässert. Wenn es mir gelingt, mir selbst zu geben, eröffne ich damit die Gabe, auch anderen Menschen geben zu können. Liebe ich dagegen mich selbst nicht, ist der Brunnen mehr oder minder vertrocknet. Und es bleibt kaum ein Töpfchen Wasser übrig, weder für mich noch für andere.
Du kannst nur geben, was dir selbst zur Verfügung steht.
Langsam kommen wir der Liebe und ihrer Bedeutung näher. Was macht Liebe aus? Gibt es etwas Allgemeingültiges, das für Liebe in jeder Facette und Spielart des Universums zutrifft? Was ist der Kern der Liebe?
Betrachte ich meinen Umgang mit Liebe genauer, dann zeigt sie sich besonders in der Zuneigung zu meinen Kindern, meiner Familie und meinen Freunden. Diese Menschen liebe und akzeptiere ich ganz besonders. Über diesen engsten Kreis von Menschen um mich herum führt Liebe dann weiter darüber hinaus zur Akzeptanz von Menschen meiner näheren Umgebung, etwa am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft.
Liebe schließt aber für mich dann zudem die grundsätzlich bejahende und wohlwollende Einstellung dem Leben als solches gegenüber ein, wie die Lebensumstände und Wendungen des Schicksals auch sein mögen. Aus dieser grundsätzlich annehmenden Haltung entspringt für mich die tiefe Zuversicht, dass das Schicksal es gut mit mir meint. Das Leben ist gut zu mir. Das Leben liebt mich und ich liebe mein Leben. Liebe wird damit zu einer stärkenden und zutiefst beglückenden Kraft. Sie bündelt sich, verwebt sich und fließt zusammen in eine universelle Kraft der Liebe.
Buddhas Aussage: „Es gibt keinen Weg zum Glück. Glück ist der Weg“ möchte ich gern abwandeln und sagen: „Es gibt keinen Weg zur Liebe. Liebe ist der Weg.“ Liebe ist der Weg und das Ziel unseres Lebens. Wer diesen Weg geht, findet zum Ziel. Das Lieben zu erlernen, seien die Umstände auch, wie sie sein mögen, ist für mich damit die Königsdisziplin in der Schule des Lebens geworden.
Wenn ich Liebe darum in einem Wort beschreiben sollte, so würde ich den Begriff Annahme wählen. Annahme beginnt dabei zunächst bei mir selbst, geht weiter über die Annahme anderer Menschen, und führt über die Annahme meiner Lebensumstände hin zur Aussöhnung und Bejahung meines Schicksals.
Liebe ist unser wichtigstes Gefühl und kann uns gleichzeitig eine ganze Fülle von Gefühlen schenken. Um genau zu sein, sie schenkt uns alle auf einmal. Denn Liebe kann schön sein. Und Liebe kann auch weh tun. Denn alles auf dieser Welt ist vergänglich. Der Dalai Lama fasst dieses Dilemma mit den Worten zusammen:
Großes Glück und große Liebe bedeuten großes Risiko.
Darum wohl drücken wir unsere Liebe und Zuneigung so gern durch eine Rose aus. Sie ähnelt in ihren Eigenschaften der Liebe sehr. Denn sie ist wunderschön, ihr Duft kann verzaubern. Und doch birgt sie in sich die Gefahr, durch ihre Dornen zu stechen und dabei zu verletzen. Mal Hand aufs Herz: Was wäre eine Rose ohne ihre Dornen? Wäre es noch eine Rose?
Diese verwirrende Eigenschaft der Liebe hat besonders Schiller auf den Punkt gebracht. Liebe ist unser größtes Glück. Und Liebe kann Schmerz bereiten. Wer liebt, ist bereit, beide Seiten dieser Medaille anzunehmen:
Die Liebe ist der Liebe Preis.
Die Liebe ist das Feuer des Lebens, sie kann Begeisterung entzünden und sie kann uns verbrennen. Zu Lieben bedeutet, diese beiden Seiten der Liebe zu akzeptieren. Wer den Preis der Liebe erringen möchte, ist gleichzeitig auch bereit dazu, den Preis dafür zu zahlen. Zu lieben bedeutet, ja zu sagen mit allen Konsequenzen. Wer den Vertrag der Liebe unterschreibt, der steht damit auch gern für das Kleingedruckte ein. Liebe ist so. Man kann sie nur annehmen, wie sie ist.
Darum scheint es mir, als sein in dieser grundsätzlichen Eigenschaft von Liebe schon ihr Sinn und ihre Bestimmung verborgen: Annahme. Liebe bedeutet Annahme. Wenn ich liebe, nehme ich die Freuden und Leiden der Liebe in Kauf. Beim Gehen des Weges der Liebe erhalte ich darum meine Lektionen der Annahme unablässig, indem ich den geliebten Menschen so annehmen kann, wie er ist. Mit allen guten und allen schlechten Eigenschaften. Mit allen Begabungen und allen Fehlern. Oder um es mit Kurt Tucholskys zu sagen:
Man muss die Menschen so nehmen, wie sie sind. Es gibt keine anderen.