Von Manfred Mohr
Jeder von uns hat sicherlich schon einmal die kostbaren Momente des Verliebtseins oder der ersten Liebe erfahren. Und jeder denkt ganz bestimmt gern an diese außergewöhnliche Zeit zurück. Erinnern wir uns darum einmal einen Augenblick lang dorthin zurück. Wie haben wir diese Momente erlebt, wie haben wir uns dabei gefühlt? Das Leben wurde zu einem einzigen immerwährenden Tanz. Es war, als würde die Sonne jeden Tag scheinen. Die Welt war mit einem Mal rosarot. Die Menschen lächelten uns zu und jede Blume am Wegesrand schien nur gewachsen zu sein, um uns genau jetzt mit ihrer ganzen Blütenpracht erfreuen zu können. Das Leben war durch die Liebe wunderschön geworden.
Warum änderte sich unsere Weltsicht fast über Nacht so auffallend hin zum Positiven? Was passiert in uns, wenn wir einen anderen Menschen lieben und an nichts anderes mehr denken können? Fast scheint es, als gäbe es einen geheimnisvollen Schalter in uns, der nur darauf wartet, von uns entdeckt und aktiviert zu werden. Und auf diesem Schalter steht: Liebe. Bitte hier einmal ganz fest drücken!
Nun ja, ganz so einfach scheint es mit der Liebe dann nun doch nicht zu funktionieren. Oder etwa doch? Vielleicht ist das Lieben ja doch viel einfacher, als wir denken und meinen? Es ist möglicherweise ganz leicht, ja kinderleicht sozusagen, zu lieben. Wir können es alle. Wir müssen es gar nicht lernen. Unsere Kinder machen es uns vor. Erinnere dich einmal, wie es war, wenn du mit einem Kind ein Stück weit spazieren gegangen bist. Das kann dauern! Denn auf jedem Meter entdeckt dieser Dreikäsehoch ein interessantes Blatt, einen krabbelnden Käfer oder ein buntes Bonbonpapier, das es ausführlich zu inspizieren gilt. Für dieses Kind ist die Welt so wunderbar, da es alles noch als neu und genau darum als so entdeckenswert erlebt. Alles trägt noch den Zauber des Neuen, selbst das Kleinste und Unscheinbarste, betrachtet durch die Augen eines Kinders. Alles, die ganze Welt um dieses Kind herum, wird damit zu einem schön verpackten Geschenk, das es dann mit großen begeisterten Augen auspackt, indem es hingeht, es anschaut und dabei so genau wie möglich erkundet. Jeder Augenblick wird dabei zu einer überraschenden Bescherung wie am Weihnachtsabend.
Ich bin mir sicher, eben daher stammt der bekannte biblische Ausspruch „Werdet, wie die Kinder“. Denn in dieser atemberaubenden Erfahrung des Neuen in unserer Welt, den ein jedes Kind uns lehren möchte, liegt der Zauber des Lebens selbst. Wir können ihn aber ganz einfach wiederentdecken, wenn wir ihn verloren glauben, und das auf ganz einfache Weise. Geh doch dazu mit deinem Kind, es kann auch ein Paten- oder Enkelkind sein, einfach eine Stunde lang spazieren. Setz dich dazu, wenn es spielt und schau ihm dabei zu. Oder mach einfach eine Weile lang mit. Ganz von selbst wird dieses Kind dich in seine Welt mitnehmen und dabei einladen, selbst wieder Kind zu sein. Du wirst es daran merken, wie schnell die Zeit vergeht, denn die kindliche Neugier vergisst in ihrer Begeisterung völlig, auf die Uhr zu schauen. Lass uns nichts anders tun als zu spielen! Und die Zeit dabei gänzlich zu vergessen!
In diesen sogenannten Flow-Momenten scheint die Zeit still zu stehen. Wichtig ist nur noch der aktuelle Augenblick. Jetzt! Was tun wir jetzt, was möchte unser Herz als Nächstes tun? Das Morgen ist ganz weit weg und das Gestern interessiert uns gerade gar nicht mehr. Das, was zählt, ist jetzt. Und nichts anderes mehr.
Von Konfuzius stammt der Ausspruch:
„Finde einen Beruf, den du liebst, und du wirst nie mehr arbeiten.“
Denn jedes Tun wird mit der richtigen Begeisterung zu einer reinen Freude. Erinnert dich das nicht auch an die Beschreibung des kindlichen Spieles von eben? Beruht unsere Beschreibung von Arbeit als etwas Schwerem und Unangenehmen dann nicht eher auf der Tatsache, dass wir vergessen haben, die Dinge, die wir erleben, aus der noch unverstellten Sicht eines Kindes heraus betrachten zu können? Mit welcher inneren Haltung laufen wir stattdessen durch unser Leben? Ist es nicht an der Zeit, wieder mehr mit den liebevollen Augen eines Kindes sehen zu lernen?
Sicher stimmst du mir dabei zu. Wir merken doch, immer dann, wenn wir denken, in unserem Leben hart um etwas kämpfen zu müssen, dann fällt dies besonders schwer. Wenn wir uns erinnern an die eingangs erwähnten wunderbaren Momente des Verliebtseins, so fanden sie uns unerwartet, scheinbar ohne Absicht, ohne unser Zutun, mehr wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Liebe geschieht. Liebe passiert in einem unverhofften Augenblick. Unerwartet und ungeplant. Rumi sagt es mit den Worten:
„Glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken, denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.“
Offenbar findet uns die Liebe in den zauberhaften Momenten des Verliebtseins, auch wenn wir dann meinen, wir würden sie finden und dies würde nur wegen des anderen Menschen geschehen, den wir dann gerade treffen und den wir vielleicht sogar zum allerersten Mal sehen. Liebe scheint in sich eine Kraft zu besitzen, die etwas Magnetisches, fast Magisches in sich trägt, das wir nicht steuern können und das darum immer etwas zutiefst Geheimnisvolles an sich hat. Liebe besitzt eine Anziehungskraft, fernab der Gesetze der Physik, die unerklärlich bleibt und sicher genau darum solch eine Faszination auf uns ausübt.
Es scheint aber einen versteckten Zusammenhang zwischen der Liebe und den Flow-Momenten zu geben. Auch in den Augenblicken des Verliebtseins scheint für uns die Zeit still zu stehen. Wir finden dann ganz ins Hier und Jetzt. Im Fluss des Lebens, wie ich den Begriff des „Flow“ gern übersetzen möchte, fühlen wir uns getragen von der Liebe, wie in den Armen einer Mutter, sicher und geborgen. So wie das Wasser uns trägt, wenn wir uns dem Fluss anvertrauen, so möchte uns auch die Liebe durch unser Leben tragen. Sie führt uns mit ihrer Strömung und bringt uns wie von selbst an unseren richtigen Platz. Die Liebe lenkt uns dann, so wie Rumi sagt. In den Momenten des Flow sind wir auch ganz angekommen in der Liebe.
Vom Wasser lässt sich darum einiges über die Eigenschaften der Liebe lernen. Wenn du wissen möchtest, was Liebe wirklich ist, betrachte einen Fluss, setzt dich an einen See. Werde dabei wie das Wasser. Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen. Denn die Liebe genügt der Liebe. Auch Wasser kann man nicht einsperren, um es zu besitzen, denn ebenso, wie das Wasser verschwindet in einem Gefäß, da es verdunstet, so entschwindet gleichermaßen die Liebe, wenn man ihr zu viele Grenzen setzt. Die spritzige Lebendigkeit und die ungestüme Kraft, die das frei fließende Wasser im Fluss gerade ausmachen, gehen mit jedem Versuch verloren, es allein für sich haben zu wollen. Liebe ist grenzenlos, so wie das Wasser. Es stellt sich zur Verfügung, aus freien Stücken, dort, wo es benötigt wird. Ohne Wasser würde alles vertrocknen, kein Leben wäre möglich. Und genauso ist es mit der Liebe. Alles, was lebt, lebt nur durch die Liebe.