Von Manfred Mohr
„Jeder Jeck ist anders“, so lautet ein bekanntes Sprichwort aus meiner Heimatstadt Köln. Der Mundartausdruck “Jeck“ ist wohl am treffendsten dem hochdeutschen „Narr“ gleichzusetzen, so dass ich dieses liebevoll verwendete Bonmot gern übersetzen würde mit „Jeder Mensch ist auf seine ureigenste Weise verrückt“. In unserem Kopfkino ziehen wir nämlich die manchmal wildesten Schlussfolgerungen aus eigentlich doch ganz normalen Geschehnissen. Für Außenstehende kann dies dann manchmal recht verrückt anmuten, was uns in unserem persönlichen Drama nur ganz natürlich und naheliegend erscheint. Die kölsche Gelassenheit nimmt dies im Allgemeinen recht verständnisvoll hin. Kurt Tucholsky hat diese Lebensweisheit einmal auf den Punkt gebracht:
„Nimm die Menschen, wie sie sind, es gibt keine anderen.“
In unserer aktuellen Situation haben wir offensichtlich irgendwo verlernt, den anderen so anzunehmen, wie er ist. Jeder hat eine eigene Meinung zum Virus und jeder diskutiert ständig mit anderen darüber. Themen wie politische Sanktionen oder Impfstatus sind zu einer Art goldenes Kalb geworden, um das nun alle kreisen. Im Augenblick nutzen wir unseren freien Willen offenbar vor allem dazu, andere von unserer Meinung zu überzeugen. Diese strikte Haltung in richtig oder falsch hat jedoch zu einer Trennung zwischen uns gesorgt, durch Familien wie Nachbarschaften oder Kollegenkreise hindurch. Andere Meinungen kommen uns dabei mitunter geradezu „verrückt“ vor. In einer angstdurchtränkten Situation ist dies aber nur allzu verständlich:
Wie wir andere Menschen behandeln ist immer eine Reflektion dessen, wie wir uns selbst fühlen. (Paolo Coelho)
Wenn dieser Virus etwas bewirkt hat, dann wohl vor allem dieses: Er hat uns unsere Gespaltenheit aufgezeigt, die sich gerade durch unsere Gesellschaft zieht, doch nur, um sie endlich überwinden zu können. Denn dieses Getrenntsein betrifft nicht allein Gruppen oder Parteien, nein, es ist auch Teil eines jeden Einzelnen von uns. Denn diese Trennung konnte nur geschehen, da wir uns zu sehr auf eine Art wissenschaftlichen Diskurs eingelassen haben, der allein von unserer Meinung und unserem Verstand bestimmt war. Den fühlenden, uns verbindenden Aspekt des Menschseins haben wir dabei fast völlig aus den Augen verloren. Die Trennung, die wir aktuell zwischen den Menschen erleben, sie ist nur Ausdruck einer grundlegenderen Spaltung in uns selbst.
Du siehst die Welt nicht so, wie sie ist. Du siehst die Welt so, wie du bist. (Rumi)
Wir erleben nun: Wo der Verstand mit seinem Besserwissen uns vom anderen trennen möchte, da können uns unser Herz und unser Mitgefühl auch wieder zurückverbinden. Genau das ist gerade gefordert, und genau das ist auch die Tür in die neue Zeit, die jetzt gerade auf uns wartet. Wir können uns dazu entscheiden. Unser freier Wille zeigt uns die Pforte, durch die wir nun gehen können. Dazu möchte ich uns allen zunächst die Frage stellen, an unser vernachlässigtes Gefühl: Was gebe ich gerade, in diesen Moment? Gebe ich gerade das Gute?
Wenn sich „da draußen“ etwas zum Positiven verändern soll, dann braucht es dazu vor allem das Gute, innen, in jedem von uns, wie einen fruchtbaren Humus, auf dem das Gute dann erst wirklich gedeihen kann. Anhaltende Debatten und Kritik an anderer Meinung sind da kein so guter Nährboden. Die Schweden haben dies offensichtlich schon lange verstanden, da eines ihrer Sprichwörter lautet:
Willst du einen König als Mann, dann beginne, den König in ihm zu erblicken.
Denn unser Blickwinkel nimmt einen gewaltigen Einfluss, auf alles, was wir betrachten. Das Universum hört uns immer mit einem Ohr zu. Wir sind nicht nur ein passiver Teil dieser Welt, der teilnahmslos im Strom der Zeit mitschwimmt. Nein, wir sind Kraft unseres Bewusstseins aktive Mitgestalter des Geschehens, das uns umgibt. Das Universum reagiert auf unsere Anwesenheit, es spürt sozusagen, wie wir die Vorgänge, die in ihm stattfinden, beobachten und dabei miterleben. Es reagiert darauf, welchen Impuls wir in die Welt setzten, eben durch unsere besondere Art, wie wir diese Welt sehen. Und die anderen Menschen, unsere Umwelt, sie spüren dies. Dazu möchte ich dir die folgende Geschichte erzählen, sie wurde zuerst von Jack Kornfield erzählt:
Ein College-Professor schickte seine Soziologiestudenten in die Slums von Baltimore, um die Zukunftsaussichten von 200 dort lebender Jugendlicher zu bewerten. Keinem dieser Jugendlichen wurde dabei eine glückliche Zukunft prophezeit. 25 Jahre später führte ein anderer Professor diese Studie fort und ließ untersuchen, was aus diesen Kindern wirklich geworden war. 180 dieser Jugendlichen wurden aufgespürt, 176 davon hatten einen ungewöhnlichen Erfolg als Anwälte, Geschäftsleute oder Ärzte vorzuweisen. Überrascht über dieses unerwartete Ergebnis, ließ der Professor jeden einzelnen dieser Männer befragen, wie sie sich diesen Erfolg erklären konnten. Jeder von ihnen antwortete: „Wir hatten eine besondere Lehrerin.“ Diese Lehrerin lebte noch, schon hochbetagt, aber noch sehr wach im Geist. Als die Studenten sie aufsuchten und nach ihrem besonderen Lehrkonzept befragten, antwortete sie mit einem Lächeln auf den Lippen: „Es ist wirklich ganz einfach. Ich liebte jeden diese Jungen!“
Das Gute, das jeder von uns in seiner Welt vorfinden möchte, es kann aus uns selbst entspringen. Das hat sogar schon die moderne Wissenschaft für sich entdeckt. John Wheeler, ein Physik-Nobelpreisträger, spricht von einem „Beobachter-Universum“, bei dem der Vorgang des Beobachtens schon Einfluss auf das Beobachtete nimmt.
Durch diesen Effekt nimmt bei einem Experiment der Versuchsleiter bewusst oder unbewusst Einfluss auf das Ergebnis seiner Versuchsanordnung, und verfälscht dabei das Messergebnis. Dieser sogenannte „Versuchsleiter-Effekt“ hört sich zwar wissenschaftlich an, hat aber großen Anteil an unserem täglichen Leben. Ich spreche selbst ja gern etwas flapsig vom „Versuchslabor Leben“, in dem wir alle uns ein Leben lang befinden.
So ist zum Beispiel erklärlich, wie der Placebo-Effekt bei der Heilung von Krankheiten funktioniert. Zuerst einmal, ich sollte daran glauben, dass der Arzt und das Medikament mir wirklich helfen können. Denn ich beobachte ja auch die Arbeit des Mediziners, meinen Heilungsprozess und das Gesundwerden meines Körpers. Und führe damit an mir selbst ein Experiment durch. Nur dummerweise verläuft dieser Vorgang zumeist nur unbemerkt.
Damit wird jeder Moment, den ich erlebe, zu einem kleinen Puzzlestein im übergeordneten „Feldversuch Leben“. Das Labor, in dem wir uns alle befinden, ist kein Hörsaal und wir sehen kein aufgebautes Experiment mit Drähten oder Messgeräten. Unser Labor ist unser Alltag. Wir säen durch unser Beobachten einen Keim in das, was wir sehen, und nehmen damit Einfluss darauf. Warum säen wir darum nicht ganz bewusst das Gute, hinein in das, was wir wahrnehmen? Es ist an uns, an jedem von uns.
1 Gedanke zu „Für das Engelmagazin: Vom Zauber des Augenblicks: Jeder Moment trägt einen Samen“
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