Für das EM 6/2025:  Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…    

Besonders in Phasen des Umbruchs sehnen wir uns umso mehr nach Sicherheit und Beständigkeit, die uns scheinbar verloren gegangen sind. Doch ist der stetige Wandel die vielleicht charakteristischste Eigenschaft der Natur und damit auch wesentlicher Bestandteil unseres eigenen Lebens. So wie sich die Jahreszeiten ständig abwechseln und damit unsere Umwelt unablässig verändern und erneuern, so durchlaufen auch wir unsere Entwicklung von der Jugend zum Alter, was auch für uns einen fortlaufenden Verwandlungsprozess mit sich bringt. Wir sammeln Erfahrungen, durchleben mannigfaltige Herausforderungen und Krisen, nur um dann später gereift und vielleicht sogar etwas geläutert mit einem gewachsenen Bewusstsein auf unser Leben zurückblicken zu dürfen.

Schon die alten Philosophen haben um diese grundlegende Struktur unserer Welt gewusst. Heraklit beschrieb sie sehr treffend mit den Worten:

Panta rhei. (Alles fließt).

Im Fluss des Lebens fließen auch wir beständig mit, hin zu neuen Ufern, von der Quelle bis zur Mündung. Aus dem anfangs quirlig lachenden Bach wird über viele Lebensstationen später einmal ein großer beständiger Fluss, der seiner Bestimmung im Meer kraftvoll entgegenströmt. Wir können uns diesem Fluss nur voller Zuversicht anvertrauen, damit er uns mit seinem Wasser ebenfalls an unser seelisches Ziel trägt. Wenn wir uns gegen seine Strömung stemmen und dagegen kämpfen, von ihm aufgenommen und mitgenommen zu werden, so verschwendet dies nur unnötig unsere Kraft. Solch ein Ansinnen kann nicht von Erfolg gekrönt sein, da es der grundlegenden Essenz der Natur widerspricht.

Nichts, was du ersehnst, ist stromaufwärts. (Esther Hicks)

Wir können nur wachsen, hin zu dem, was unsere Seele möchte, wenn wir dem Neuen, das sich in uns zaghaft zeigen will, vertrauensvoll genügend Raum verschaffen. Diese Bereitschaft, uns selbst zu erkennen, stetig zu hinterfragen und dabei dem Ziel unseres Erdendaseins immer näher zu kommen, ist ohne den Mut zur Verwandlung und Erneuerung undenkbar. Die Lebendigkeit, die Freude und die Begeisterung, die das Glück unseres Lebens ausmachen, ist nur im wandlungsfreudigen sommerlichen Tanz der Elemente möglich. In der Starrheit des statischen Winters suchen wir es vergebens.

Wer möchte, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt. (Erich Fried)

Das Herannahen der neuen Zeit, die uns nun Tag für Tag und Atemzug für Atemzug entgegenkommt, ist einer Geburt vergleichbar. Sie ist bereits gezeugt und wächst nun ganz langsam zur Größe, so wie ein Küken in seinem Ei. Irgendwann werden wir spüren, der Wachstumsprozess ist abgeschlossen, das Küken klopft von innen an die Schale und möchte ausschlüpfen. Die Veränderungen, die wir gerade erleben, möchten nur notendigen Raum machen, damit das Neue werden kann.

Das Neue ist schon längst da. Das Alte macht nur so viel Lärm beim Sterben. (Eckhard Tolle)

Wenn wir kleine Welpen betrachten, die miteinander spielerisch balgen,  eine Knospe, die gerade erblüht ist oder einen Bach, auf dem das Eis des Winters in den ersten frühlingshaften Strahlen der Sonne anfängt zu tauen, dann wird uns die wundersame Kraft des Neuen erst wirklich bewusst. Das Neue fasziniert uns so sehr, da wir niemals wissen können, wie genau es ausschauen und sich gestalten wird. Das Spiel des Lebens, dessen Teil wir alle sind, kann uns nur Freude bereiten, wenn sein Ausgang offen und damit überraschend bleibt. Das Unverhoffte, Unwägbare, ist ja gerade der fundamentale Reiz eines jeden Spiels. Ein Würfel, der spielerisch geworfen wird, hat die bekannten sechs Möglichkeiten, zu fallen, die vorher nicht feststehen. Welchen Sinn hätte ein Würfel, der sechsmal die gleiche Zahl auf seinen sechs Seiten anzeigt?

Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. (Hermann Hesse)

Wenn wir darum an die neue Zukunft denken, die auf uns wartet, so sollten wir es voller Zuversicht und Freude tun. Damit sie ihren Zauber voll entfalten kann, sollten wir uns erinnern an die unvergesslichen Momente, als wir ein neugeborenes Kind in den Armen trugen. Die neue Zukunft, sie ist ähnlich wie  solch ein neugeborenes Kind, das wir liebevoll empfangen und annehmen sollten, voll von Dankbarkeit. Wir sollten ihm das Beste angedeihen lassen, dass uns zur Verfügung steht. Vielleicht ganz ähnlich, wie es uns vom afrikanischen Stamm der Himba im nördlichen Namibia überliefert wurde, an dem wir uns in dieser Hinsicht sicher ein Vorbild nehmen könnten:

Wenn eine Frau dieses Stammes das erste Mal den Wunsch nach einem Kind verspürt, dann setzt sie sich unter einen Baum und spürt in sich hinein, bis sie ein Lied in sich vernimmt, das Lied ihres Kindes, das sie nun das erste Mal für es singt. Sie bringt dieses Lied ihrem Mann bei und beide singen es bei der Zeugung, während der folgenden Schwangerschaft und schließlich bei der Geburt. Das Lied begleitet das Kind, das nun erwachsen geworden ist, bei allen wichtigen Geschehnissen seines Lebens, und schließlich singt der ganze Stamm ein letztes Mal das Lied, wenn dieser Mensch am Ende stirbt.

Spüre einmal hinein, wie fühlt es sich an, dieses Kind zu sein? Wie wäre so ein Leben, wenn alle Menschen deiner Umwelt dein Lied kennen und es zu allen wichtigen Anlässen in deinem Leben für dich singen würden? Alle kennen dich genau, denn sie kennen dein Lied und singen es mit Liebe, wann immer es Zeit ist, dich daran zu erinnern, dass du geliebt bist und dass du ein wesentlicher Teil dieses Stammes bist. Die Kraft der Gemeinschaft kann dich soweit stärken, dass in dir das Beste zum Vorschein kommt.

Die Empathie und das Mitgefühl der Himba geht nun aber sogar so weit, dass sie das Lied selbst dann gemeinsam singen, wenn dieser Mensch einmal etwas Schlimmes oder Böses getan hat. Statt ihn zu verurteilen und zu bestrafen, nehmen sie ihn liebevoll in ihre Mitte und singen sein Lied, um ihn zu erinnern, wer er wirklich ist. So wie Martin Luther King es vorgeschlagen hat, trennen sie dabei die schlechte Tat vom verirrten Täter, der trotzdem Mensch und Teil der Gemeinschaft des Stammes bleiben darf.

Was ist das Böse anderes als das Gute, vom eigenen Hunger und Durst gequält? (Khalil Gibran)

So stimmen wir uns ein auf die neue Zeit und die Zukunft, die schon so bald auf uns wartet. Nimm dir doch dazu so bald wie möglich ein paar besinnliche Momente und suche dir einen schönen Baum, unter den du dich setzt. Oder wähle wahlweise einen See oder einen Fluss, mit dem du dich in Ruhe verbindest. Gehe dann einen Augenblick in die Stille und meditiere über das Neue, das auf uns zukommt. Hörst du ein Lied? Zeigen sich dir Bilder? Welches Gefühl entsteht in dir, wenn du an die kommende Zukunft denkst? Verbinde dich in deinem Herzen mit ihr. Wenn dir ein Lied in den Sinn kommt, dann singe es ihr liebevoll vor. Heiße die neue Zeit liebevoll willkommen.  Frage dich ganz ernsthaft, was sie braucht und was du für sie tun kannst. Nimm sie in dein Herz, damit ihr Zauber sich so richtig für uns alle entfalten kann.